Fälschung von Studien
Verfasst: 23/12/2009, 18:56
Schmerzforscher im Pharmasumpf
Scott Reuben galt als Pionier der Schmerzforschung. Seinen Empfehlungen folgten Ärzte weltweit: Aber 21 seiner Studien sind frei erfunden
"Das ist ein Skandal ohne Beispiel", sagt Edmund Neugebauer. Der Professor für Chirurgische Forschung an der Universität Witten-Herdecke findet für den einst angesehenen US-Wissenschaftler Scott Reuben deutliche Worte. "Eine so schwere Verfehlung ist nicht wieder gut zu machen. Reuben ist damit wissenschaftlich tot und gehört entlassen." Gemeint ist ein Betrugsfall, der derzeit vor allem die Mediziner in den USA schockiert. Seit 1996 hat der Anästhesist Scott Reuben vom Baystate Medical Center in Springfield, Massachusetts, mindestens 21 seiner Studien schlichtweg frei erfunden. Viele seiner gefälschten Ergebnisse sind in Leitlinien für Ärzte eingeflossen.
"Wir sprechen über Millionen von Patienten weltweit, deren postoperative Schmerzbehandlung von den Forschungsergebnissen von Dr. Reuben beeinflusst worden sind," sagte Steven Shafer dem Scientific American. Er ist Chefredakteur des Magazins Anesthesia & Analgesia, das zehn der fragwürdigen Studien des Schmerzforschers veröffentlicht hat. 2007 hatte die gleiche Zeitschrift Rubens Arbeiten noch als "sorgfältig geplant und akribisch dokumentiert" gelobt. Der Mediziner galt seit Anfang der neunziger Jahre als ausgewiesener Experte auf dem Gebiete der Schmerztherapie nach Operationen. Viele seiner Empfehlungen wurden im Klinikalltag umgesetzt, auch in Deutschland.
"Wir haben die neuen Leitlinien zur Akutschmerztherapie sofort durchforstet und werden nun alle Hinweise auf Reuben löschen," sagt Neugebauer. Der Chirurgie-Professor hat die Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Schmerztherapie (DIVS) mit herausgegeben. Die Kernaussagen der Leitlinien müssten jedoch nicht geändert werden. "Zwar verliert ihre Bedeutung etwas, wenn man die sechs, sieben zitierten Studien Reubens wegstreicht. Doch kaum ein Patient wurde deswegen grundsätzlich falsch behandelt oder hat falsche Medikamente verschrieben bekommen", sagt Marcus Schiltenwolf, Vizepräsident der DIVS.
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Die Machenschaften Reubens wurden eher zufällig entdeckt. Bereits im Mai vergangenen Jahres stieß ein leitender Angestellter des Baystate Medical Centers auf Ungereimtheiten in Reubens Arbeit. Während einer Routineprüfung stellte sich heraus, dass zwei Studien des Mediziners noch nicht vom Gutachtergremium der Klinik genehmigt wurden. Eine anschließende Untersuchung führte jetzt dazu, dass insgesamt 21 Studien des Schmerzforschers zurückgezogen wurden.
Reubens ist seit Mai 2008 beurlaubt und wurde von jeglichen medizinischen Forschungsarbeiten und Lehrtätigkeiten entbunden. Sein Anwalt richtete im Scientific American aus, dass sein Mandant "zutiefst bereue", was passiert sei. Er würde derzeit mit den Untersuchungsbehörden zusammenarbeiten.
Große Nähe zu Pharmakonzernen
Besonders dubios am Fall Scott Reuben: Der Anästhesist war offenbar gefährlich nahe mit großen Pharmakonzernen wie Pfizer und Merck verbandelt. Paul White, Redakteur bei Anesthesia & Analgesia schätzt, dass Reubens Studien zum milliardenschweren Verkauf potenziell gefährlicher Schmerzmittel geführt haben. Unter den Pillen, denen Reuben in seinen ausgedachten Arbeiten offenbar gute Wirksamkeit bescheinigte, sind Celebrex und Vioxx.
Schmerzforscher im Pharmasumpf
Letzteres Medikament musste 2004 von Merck vom Markt genommen werden, nachdem es besonders in den USA massenweise verschrieben worden war. Zahlreiche Menschen erlitten nach der längerfristiger Einnahme des Schmerzmittels Herzinfarkte. Im Mai 2005 berichtete die Medizinzeitschrift The Lancet, dass Vioxx in fünf Jahren bei hochgerechnet 88.000 bis 140.000 Menschen allein in den USA schwere Schäden an den Herzkranzgefäßen verursacht haben soll. 44 Prozent dieser Fälle seien tödlich verlaufen. Auch dem Rheuma-Medikament Celebrex werden ähnliche Nebenwirkungen nachgesagt. Es darf nur noch sehr eingeschränkt verwendet werden.
Doch Reubens Verstrickung mit der Pharmaindustrie endet hier nicht: Zwischen 2002 und 2007 erhielt der Mediziner Fördermittel von Pfizer. Zudem war Reuben als bezahlter Sprecher für den Konzern tätig. "Möglicherweise ist Herr Reuben kein Einzelfall. Die Unterstützung der Forschung und von klinischen Studien durch die Industrie ist heute gewünscht und zum Teil unverzichtbar", sagt der Präsident der DIVS, Heinz Laubenthal. "Allerdings ist das sicherlich die Spitze des Eisbergs eines ganzen Systems von Vorteilnahme. Aufgrund des wirtschaftlichen Drucks großer Konzerne sind die Grenzen zwischen dem was legal und dem, was illegal ist, fließend", sagt auch der DIVS-Vize Marcus Schiltenwolf. Jeder Mensch habe seinen Preis.
Wie kann es aber sein, dass ein angesehener Forscher über zwölf Jahre hinweg Studien komplett erfindet, ohne dass dies jemand merkt? Reuben selbst ist nicht der einzige Autor, dessen Name auf den gefälschten Publikationen erschienen ist. "Er hat sich offenbar sehr kreativ angestellt", sagt Schiltenwolf. "Entweder hat er seine Mitautoren geschmiert oder deren Einverständnis wurde gefälscht."
Chirurgie-Professor Neugebauer sieht noch ein weiteres Problem, vor allem bei den Magazinen, die Reubens Arbeiten veröffentlichten: "Viele der eingereichten Daten werden nicht noch einmal im Detail kontrolliert." Ein Abgleich mit den Urdaten finde oft nicht statt und interne Gutachter könnten Fälschungen nicht immer ausschließen.
"Das Ganze wirft ein sehr ungünstiges Licht auf die Qualitätssicherung klinischer Studien in den USA", sagt DIVS-Präsident Laubenthal. Ergebnisse müssen offenbar noch viel gründlicher und intensiver kontrolliert werden. Allerdings: "Wissenschaft wird immer auf Vertrauen basieren". Dieses hat Scott Reuben schändlich missbraucht.
Scott Reuben galt als Pionier der Schmerzforschung. Seinen Empfehlungen folgten Ärzte weltweit: Aber 21 seiner Studien sind frei erfunden
"Das ist ein Skandal ohne Beispiel", sagt Edmund Neugebauer. Der Professor für Chirurgische Forschung an der Universität Witten-Herdecke findet für den einst angesehenen US-Wissenschaftler Scott Reuben deutliche Worte. "Eine so schwere Verfehlung ist nicht wieder gut zu machen. Reuben ist damit wissenschaftlich tot und gehört entlassen." Gemeint ist ein Betrugsfall, der derzeit vor allem die Mediziner in den USA schockiert. Seit 1996 hat der Anästhesist Scott Reuben vom Baystate Medical Center in Springfield, Massachusetts, mindestens 21 seiner Studien schlichtweg frei erfunden. Viele seiner gefälschten Ergebnisse sind in Leitlinien für Ärzte eingeflossen.
"Wir sprechen über Millionen von Patienten weltweit, deren postoperative Schmerzbehandlung von den Forschungsergebnissen von Dr. Reuben beeinflusst worden sind," sagte Steven Shafer dem Scientific American. Er ist Chefredakteur des Magazins Anesthesia & Analgesia, das zehn der fragwürdigen Studien des Schmerzforschers veröffentlicht hat. 2007 hatte die gleiche Zeitschrift Rubens Arbeiten noch als "sorgfältig geplant und akribisch dokumentiert" gelobt. Der Mediziner galt seit Anfang der neunziger Jahre als ausgewiesener Experte auf dem Gebiete der Schmerztherapie nach Operationen. Viele seiner Empfehlungen wurden im Klinikalltag umgesetzt, auch in Deutschland.
"Wir haben die neuen Leitlinien zur Akutschmerztherapie sofort durchforstet und werden nun alle Hinweise auf Reuben löschen," sagt Neugebauer. Der Chirurgie-Professor hat die Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Schmerztherapie (DIVS) mit herausgegeben. Die Kernaussagen der Leitlinien müssten jedoch nicht geändert werden. "Zwar verliert ihre Bedeutung etwas, wenn man die sechs, sieben zitierten Studien Reubens wegstreicht. Doch kaum ein Patient wurde deswegen grundsätzlich falsch behandelt oder hat falsche Medikamente verschrieben bekommen", sagt Marcus Schiltenwolf, Vizepräsident der DIVS.
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Die Machenschaften Reubens wurden eher zufällig entdeckt. Bereits im Mai vergangenen Jahres stieß ein leitender Angestellter des Baystate Medical Centers auf Ungereimtheiten in Reubens Arbeit. Während einer Routineprüfung stellte sich heraus, dass zwei Studien des Mediziners noch nicht vom Gutachtergremium der Klinik genehmigt wurden. Eine anschließende Untersuchung führte jetzt dazu, dass insgesamt 21 Studien des Schmerzforschers zurückgezogen wurden.
Reubens ist seit Mai 2008 beurlaubt und wurde von jeglichen medizinischen Forschungsarbeiten und Lehrtätigkeiten entbunden. Sein Anwalt richtete im Scientific American aus, dass sein Mandant "zutiefst bereue", was passiert sei. Er würde derzeit mit den Untersuchungsbehörden zusammenarbeiten.
Große Nähe zu Pharmakonzernen
Besonders dubios am Fall Scott Reuben: Der Anästhesist war offenbar gefährlich nahe mit großen Pharmakonzernen wie Pfizer und Merck verbandelt. Paul White, Redakteur bei Anesthesia & Analgesia schätzt, dass Reubens Studien zum milliardenschweren Verkauf potenziell gefährlicher Schmerzmittel geführt haben. Unter den Pillen, denen Reuben in seinen ausgedachten Arbeiten offenbar gute Wirksamkeit bescheinigte, sind Celebrex und Vioxx.
Schmerzforscher im Pharmasumpf
Letzteres Medikament musste 2004 von Merck vom Markt genommen werden, nachdem es besonders in den USA massenweise verschrieben worden war. Zahlreiche Menschen erlitten nach der längerfristiger Einnahme des Schmerzmittels Herzinfarkte. Im Mai 2005 berichtete die Medizinzeitschrift The Lancet, dass Vioxx in fünf Jahren bei hochgerechnet 88.000 bis 140.000 Menschen allein in den USA schwere Schäden an den Herzkranzgefäßen verursacht haben soll. 44 Prozent dieser Fälle seien tödlich verlaufen. Auch dem Rheuma-Medikament Celebrex werden ähnliche Nebenwirkungen nachgesagt. Es darf nur noch sehr eingeschränkt verwendet werden.
Doch Reubens Verstrickung mit der Pharmaindustrie endet hier nicht: Zwischen 2002 und 2007 erhielt der Mediziner Fördermittel von Pfizer. Zudem war Reuben als bezahlter Sprecher für den Konzern tätig. "Möglicherweise ist Herr Reuben kein Einzelfall. Die Unterstützung der Forschung und von klinischen Studien durch die Industrie ist heute gewünscht und zum Teil unverzichtbar", sagt der Präsident der DIVS, Heinz Laubenthal. "Allerdings ist das sicherlich die Spitze des Eisbergs eines ganzen Systems von Vorteilnahme. Aufgrund des wirtschaftlichen Drucks großer Konzerne sind die Grenzen zwischen dem was legal und dem, was illegal ist, fließend", sagt auch der DIVS-Vize Marcus Schiltenwolf. Jeder Mensch habe seinen Preis.
Wie kann es aber sein, dass ein angesehener Forscher über zwölf Jahre hinweg Studien komplett erfindet, ohne dass dies jemand merkt? Reuben selbst ist nicht der einzige Autor, dessen Name auf den gefälschten Publikationen erschienen ist. "Er hat sich offenbar sehr kreativ angestellt", sagt Schiltenwolf. "Entweder hat er seine Mitautoren geschmiert oder deren Einverständnis wurde gefälscht."
Chirurgie-Professor Neugebauer sieht noch ein weiteres Problem, vor allem bei den Magazinen, die Reubens Arbeiten veröffentlichten: "Viele der eingereichten Daten werden nicht noch einmal im Detail kontrolliert." Ein Abgleich mit den Urdaten finde oft nicht statt und interne Gutachter könnten Fälschungen nicht immer ausschließen.
"Das Ganze wirft ein sehr ungünstiges Licht auf die Qualitätssicherung klinischer Studien in den USA", sagt DIVS-Präsident Laubenthal. Ergebnisse müssen offenbar noch viel gründlicher und intensiver kontrolliert werden. Allerdings: "Wissenschaft wird immer auf Vertrauen basieren". Dieses hat Scott Reuben schändlich missbraucht.